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[Augenupdate] Im frühtau zur Kliink…

04:01 – Aufstehen. Der Wecker klingelt. Erbarmungslos. Obwohl er genau weiß, dass ich diese Nacht kaum ein Auge zugemacht habe. Zwei volle Stunden Schlaf hatte ich. Und die waren nicht gerade ruhig. Ist es ein Wunder? Heute fahre ich in die Uni-Augenklinik in Rostock. Morgen werde ich dort operiert Der Glaskörper wird mir auf dem linken Auge entfernt.
Eine ausgiebige Dusche und ein Kaffee, so schwarz, dass er eher einem Wurmloch gleicht, machen mich etwas munterer. Die letzten Dinge – Handladekabel, iPod, Laptop – werden gepackt, die letzte Wäsche von der Leine genommen und in der Reisetasche verstaut. Meine Augenärztin meinte etwas von zwischen 10 und 14 Tagen. Ich bin auf 14 Tage vorbereitet. Man sollte ja immer mit dem schlimmsten rechnen.


5:30 wollen meine Großeltern kommen und mich abholen, um dann anschließend mit mir die rund zweistündige Fahrt nach Rostock anzugehen. Und eineinhalb Stunden reichen gerade so. in der letzten Minute ziehe ich in einer einzigen Bewegung meinen USB Stick vom Rechner, schalte die Schreibtischlampe aus, schnappe Rucksack und Tasche und verlasse mein Zimmer. Nur für die Verabschiedung von meiner Mum nehme ich mir etwas mehr Zeit. Zwei Minuten machen den Kohl nicht fett.

Die Fahr verläuft ruhig. Kaum jemand sagt etwas. Ich versuche anfangs noch, meine Großeltern in ein lockeres Gespräch zu verwickeln, indem ich ein paar platte Scherze über meine Situation reiße, über die Bürokratie bei den Ärzten meckere oder anfange zu erklären, was die Ärzte nun morgen machen wollen und wie komplex und irgendwie – technisch gesehen – auch cool das Ganze ist.
Auf die ersten beiden dinge wird einsilbig eingegangen, sodass bald die Luft raus ist, bei letzterem werde ich gebeten, nicht mehr zu erzählen, weil ihnen dabei unwohl ist.
Also ziehe ich mich in meine eigene Gedankenwelt zurück.
Wie wird das Krankenhaus sein? Sind die Ärzte nett? Die Schwestern? Wird die OP gut verlaufen? Werde ich Schmerzen danach haben? Wie lang bin ich in Narkose, wie lang wird die OP dauern? Was wollen sie mir einspritzen? Sie die Schwestern hübsch? Gibt es WLAN?
All das sind Fragen, die ich jetzt einfach nicht beantworten kann, egal, wie sehr ich mich mit ihnen beschäftige. Also beschäftige ich mich erst mit anderen – Wie war die vierte Nachkommastelle von Pi, Habe ich was vergessen? Warum liegt hier eigentlich Stroh.
Doch auch das beschäftigt mich nicht lang. Die Antworten sind schnell gefunden: 5, wahrscheinlich, Chuck Norris weiß, warum da Stroh liegt.
Irgendwann driften meine Gedanken ins leere und ich schaue nur noch aus dem Fenster. Langsam und in zarten rosatönen meldet sich die Sonne am nächtlichen Himmel an. Es wird immer helle und ein dichter Bodennebel bildet sich über den Feldern, durch die unsere Straße führt. Hier und da sieht man ein Reh springen, Hasen hoppeln, wehe nicht wenigstens eine Schwester ist hübsch!

Die Zeit vergeht schnell in dieser Art Trance, a.k.a. Wachkoma und im Nu sind wir in Rostock vor r der Poliklinik. Der Abschied von meinen Großeltern fällt weniger herzlich aus. Ich bin ihnen dankbar, dass sie für mich diese Tour praktisch umsonst und kostenlos gefahren sind. Aber ich denke, das nächste Mal, werde ich den Zug nehmen.
Die Anmeldung  verläuft so schnell und fix, dass mir erst hinterher auffällt, dass ich schon durch bin. Auf der Station selbst werde ich Fragen über mich beantworten müssen. Gefühlte 300 Mal. Dieselben. Erste Untersuchungen werden gemacht, Blut abgenommen, noch mehr Untersuchungen, alles, was vor ein paar Tagen schon mal gemacht wurde, alles was vor zwei Wochen schon mal gemacht wurde, und hey – auch mal was neues… ach nee. Kenne ich doch schon.
Ich lasse alles über mich ergehen. Freundlich und gut drauf. Weder Schlafmangel, noch Nervosität machen mir zu schaffen. Seltsam, ja. Aber ich merke, wie ich es einfach mal nett finde, mit anderen Leuten zu reden, mich wieder selbst durchschlafen zu müssen. Selbstständig zu sein.
Und da ist sie auch schon. Die erste hübsche Schwester, die mir Blu… nein… keine Schwester? Ein Kittel. Eine Ärztin? Muss ne verdammt junge Ärztin sein. Sie ist etwa in meinem Alter. Selbst mit 25/26 ist man i.d.R. noch nicht Arzt. Sie erzählt was davon, dass sie mein Zimmer gemacht hätte. Hm.. also keine Ärztin. Aber auch keine Pflegerin oder Praktikantin. Oder… Moment.. Klar. Praktika. Wahrscheinlich Studentin. Sie ist freundlich und sehr extrovertiert und ein bisschen Geschnatter unter gleichaltrigen – sie anderen Patienten sind meist etwa doppelt so alt, wie wir – tut uns beiden offenbar gut und bestätigt meine Annahme.
Ich habe keinen Plan, wie sie heißt, ich weiß nur, dass sie hier in Rostock im 8. Semester studiert. Aber jemanden gefunden zu haben, der etwa im gleichen Alter ist, ist schön und steigert meine Laune weiter. Ihr wohl auch. Sie kommt mich quasi betreuen, führt mich durch das Haus in die verschiedenen Untersuchungsräume und unterhält sich mit mir über alles möglich, das aber mit der OP oder wenigstens mit der Medizin oder dem Krankenhaus zu tun hat.
Nach einiger Zeit wird sie, von einer Ärztin begleitet, mein Zimmer besuchen und fragen, ob ich an einer Forschungsstudie über Diabetes und deren Nerven teilnehmen möchte.
Mir ist langweilig und warum soll mein Mist hier nicht eventuell anderen helfen? Also willige ich ein und ein paar sehr interessante Untersuchungen starten, die unter anderem meine Sehnerven auf Bilder bannen und mir mehr als eine Stunde vertreiben.
Kurz darauf ist die Visite und ich erfahre mehr über die bevorstehende OP an mir:

Die OP wird morgen Vormittag am linken Auge unter Vollnarkose durchgeführt. Sie wird etwa eine Stunde dauern und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird Öl eingespritzt, das dann in  vier bis sechs Monaten wieder operativ gegen Luft, bzw. Gas ausgetauscht werden muss.
Der Grund dafür ist, dass sich bei mir schon neben den kleinen Äderchen, auch Membranen (dünne Häutchen) gebildet haben, die ebenfalls entfernt werden müssen. Da die Blutung höchstwahrscheinlich nicht einfach so gestoppt werden kann, miss Silikonöl eingespritzt werden um das ganze quasi zu versiegeln. Zusätzlich wird dann auch gleich das gesamte Auge, bzw. die gesamte Netzhaut gelasert, sodass dieses Auge behandlungstechnisch fertig ist. Nach der OP werde ich im Aufwachraum noch etwa zwei Stunden betreut und dann war es das schon fast.
Weiterhin erhoffen sich die Ärzte eine Besserung auf dem linken Auge, die aber erst nach einiger Zeit auftreten kann.
Und noch etwas: es ist höchste Eisenbahn, auch das rechte Auge zu operieren. Auch darüber wollen die Ärzte dann am Tag meiner Entlassung nochmal mit mir reden.
Da kommt meine Frage natürlich, die mir die ganze Zeit auf der Zunge liegt: Wann werde ich entlassen?
„Montag.“ Antwortet der Arzt.
Verdutzt schaue ich ihn an. Wow. Montag. Das geht schnell. Auch die Sache, dass ich bei Öl eventuell auf dem Bauch liegen müsste, damit die Tropfen wirken, ist lang nicht mehr aktuell, wird mir gesagt. Ich bin verdammt zufrieden, aber mit noch einer netten Sache rückt er raus: Ich werde gleich wieder sehen können – wenn auch nicht sonderlich gut – und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keine Schmerzen haben. Maximal ein Fremdkröpergefühl im Auge. Das kenne ich schon und damit kann ich umgehen.

Dieser Tag scheint ein sehr guter für mich zu werden.
Nicht nur, dass ich hier unter offenbar sehr netten Menschen bin, nein, auch die OP gehe ich jetzt mit Zuversicht an. Und Zuversicht konnte ich gut gebrauchen.
Wenn ich jetzt noch WLAN bekomme, ist alles im Lot und ich werde gern wiederkommen, wenn das andere Auge dran ist.
Meine Krankheit ist nicht schön und leider auch nicht heilbar. Aber offenbar bekomme ich eine zweite Chance, wenigstens akzeptabel sehend durch die Welt zu gehen.
Und diese Chance werde ich dann nutzen. Ganz sicher.

Sobald ich kann, werde ich mich morgen Abend wieder melden und hoffentlich einen kleinen Bericht schreiben. Wenn nicht, dann wenigstens Montag als Abschluss.

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